Kürzlich war ich mal wieder im Kino und habe „On the Basis of Sex“ (übersetzt etwa „Auf der Basis des Geschlechts“, dt. Titel „Die Berufung – Ihr Kampf für Gerechtigkeit“) gesehen. Der biographische Film über Ruth Bader Ginsburg, US-Amerikanische Juristin und Beisitzende Richterin am Supreme Court, zeigt den Kampf einer jungen Frau und Mutter für die gesetzliche Gleichstellung von Mann und Frau, sowie ihre eigenen Mühen als Frau in einem männlich dominierten, sexistischen Umfeld.
Ginsburg beginnt ihr Studium Mitte der 50er Jahre in Harvard als eine von 9 Studentinnen unter über 500 Studenten. Gleich zu Beginn hält der Dekan eine flammende Rede darüber, welche Tugenden die „Hardvard-Männer“ vereinigen. Von Frauen spricht niemand. Im Gegenteil, ihre Anwesenheit wird eher mit Verwunderung oder Missbillugung wahrgenommen.
Eine Szene später haben der Dekan und seine Gattin die neun Studentinnen zusammen mit einigen Professoren zum Abendessen geladen. Der Dekan fordert die jungen Frauen auf, einzeln vom Tisch aufzustehen, sich vorzustellen und zu erklären, warum sie den Platz eines Mannes an der Universität besetzen. Ja, ernsthaft.
Die erste Studentin erzählt von ihrer Kindheit als Tochter eines Anwalts, und wie er in ihr das Interesse an der Jurisprudenz geweckt hat. Der Dekan befindet die Antwort herablassend als „ganz okay“. Die zweite Studentin erwähnt, dass sie weder Lehrerin noch Krankenschwester habe werden wollen, worauf der Dekan sie unterbricht und ihr bescheidet, das sei ja wohl kein guter Grund, Jus zu studieren.
Ginsburg erklärt sarkastisch, ihr Mann studiere Jus im zweiten Jahr, und sie wolle durch das Studium eine bessere und verständnisvollere Ehefrau werden. Die anderen Studentinnen prusten los, auch im Kinosaal lachen wir alle. So lustig die Szene ist, so absurd sie wirkt – sie hinterlässt einen schalen Beigeschmack.
2008 habe ich zu studieren begonnen. Das Umfeld war wohl kaum „männlich dominiert“, waren wir doch zu etwa 2/3 Frauen, doch unsere Dozierenden waren zu einem Grossteil männlich. Auch bei uns hielt der Dekan des vorklinischen Studienteils am ersten Tag eine Rede, die uns allen im Hals stecken blieb:
„An die Frauen unter Ihnen: Haben Sie sich eigentlich überlegt, was sie hier machen? Wann wollen Sie denn bitte Kinder kriegen? Jetzt sind Sie Anfang Zwanzig. Während des Studiums wollen Sie sich wohl kaum fortpflanzen, da haben Sie weder das Geld noch die Zeit. Nach dem Studium? Glauben Sie mir, die Assistenzarztzeit ist streng, da arbeiten Sie 60 Stunden pro Woche. Wie wollen Sie da Zeit für Kinder haben? Und wenn Sie dann erst mal Oberärztin sind, sagen wir, mit Mitte Dreissig, dann wollen Sie arbeiten, ihren Beruf geniessen. Dann wollen Sie bestimmt auch keine Kinder. Und danach sind Sie zu alt dafür. Also überlegen Sie sich gut: Wollen Sie das wirklich?“
Das war 2008, der Inhalt hat sich seit Ginsbergs 50er Jahren aber kaum geändert. Er blieb nicht der einzige, der während des Studiums in dieses Horn hineinblies. Sexismus war für und Studentinnen an der Tagesordnung, denn die meisten Dozierenden waren männlich, genau wie die meisten Ärzte, welche uns in den praktischen klinischen Kursen unterwiesen. Wir lernten, auf die Zähne zu beissen, wegzuhören, zu ignorieren. Währenddessen mussten sich unsere männlichen Kommilitonen selbstverständlich nie dafür rechtfertigen, dass sie sich weder für Gynäkologie noch Pädiatrie interessierten, oder geschweige denn sich für ein operatives Fach begeisterten.
2015 schloss ich mein Studium ab. An der offiziellen Abschlussfeier hielt der klinische Dekan eine Rede – und auch er sprach über Frauen. Seine Kernaussagen: Frauen machen den Beruf kaputt, weil sie alle lieber Teilzeit arbeiten wollen. Ausserdem seien wir alle sowieso völlig auf dem Holzweg mit der ganzen dämlichen „Work-Life“-Balance-Unfug, denn erstens sei Work und Life dasselbe, zweitens müsse man da halt einfach bereit sein, Abstriche zu machen. So.
Die Rhetorik hör ich übrigens besonders gern. „Du hast dir den Beruf selber ausgesucht, du bist halt selber schuld. Das ist nun mal einfach so. Da darf man nicht jammern, sonst muss man was Anderes machen.“ Als hätte man kein Recht auf faire Arbeitsbedingungen, nur weil man seine Seele der Medizin verkauft hat. Als wäre einem mit achtzehn Jahren bewusst, was 60 Stunden Arbeit pro Woche bedeutet. Als könnte man in diesem Alter, in diesem Entwicklungsstadium die Tragweite einer solchen Entscheidung wirklich erfassen.
Zumal man darüber ja wirklich nicht aufgeklärt wird: Ich habe keine Ärztinnen in der Familie oder im Bekanntenkreis. Ich habe mit keiner einzigen Ärztin vor dem Studium sprechen können, mich informieren, ob wie Wirklichkeit mit meinen idealistischen Vorstellungen übereinstimmt. Klar habe ich vor dem Studium ein Praktikum im Spital gemacht (das sogenannte „Häfelipraktikum“, welches so heisst, weil man hauptsächlich Nachttöpfe, auf Schweizerdeutsch „Häfeli“, putzt). Es war ein eher gehobenes Privatspital, und die Ärzte (allesamt männlich, ausser einer einzigen Anästhesistin) haben mich kleinen Wicht ignoriert. Fragen stellen (und atmen, physisch anwesend sein oder schlicht generell existieren) war höchst unerwünscht. Aber gell. Pech gehabt, Seele verkauft und so.
Und was ist mit den Kindern? Alle Frauen müssen zwangsweise Kinder haben wollen? Kinder sind nur Frauensache, und Männer kriegen ein Leben lang einen Freipass, sich ihrer Arbeit zu widmen und die Familie zu vernachlässigen? Nicht nur das, es wird sogar von ihnen erwartet! Wehe dem Mann, der das nicht möchte und sich gerne Zeit für seinen Nachwuchs nehmen würde. Teilzeit? Nix da. Ist was für das Weibsvolk.
Solche Einstellungen, wie sie Ginsberg ein Leben lang bekämpft hat, sind nach wie vor tief in den Köpfen der (sorry, aber hauptsächlich) alten Männer verankert. Längst geht es nicht mehr nur um die Gleichstellung von Frauen und Männern, sondern um faire Arbeitsbedingungen für alle, doch ein Umdenken findet nur langsam statt. Ich hoffe auf den Generationenwechsel, der jetzt im Gange ist, aber auch dieser wird sich noch eine Weile hinziehen.
Wir sind noch lange nicht da, wo wir sein sollten, aber wir gehen in die richtige Richtung. Schritt für Schritt. So, wie Ruth Bader Ginsburg, welche die ersten zwei Prozesse gewann, welche die Diskrimination aufgrund des Geschlechts in Gesetzestexten bestätigten, und damit Präzedenzfälle für Jahrezehnte geschaffen hat.