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Ruth und die Rechte der Frauen

Kürzlich war ich mal wieder im Kino und habe „On the Basis of Sex“ (übersetzt etwa „Auf der Basis des Geschlechts“, dt. Titel „Die Berufung – Ihr Kampf für Gerechtigkeit“) gesehen. Der biographische Film über Ruth Bader Ginsburg, US-Amerikanische Juristin und Beisitzende Richterin am Supreme Court, zeigt den Kampf einer jungen Frau und Mutter für die gesetzliche Gleichstellung von Mann und Frau, sowie ihre eigenen Mühen als Frau in einem männlich dominierten, sexistischen Umfeld.

Ginsburg beginnt ihr Studium Mitte der 50er Jahre in Harvard als eine von 9 Studentinnen unter über 500 Studenten. Gleich zu Beginn hält der Dekan eine flammende Rede darüber, welche Tugenden die „Hardvard-Männer“ vereinigen. Von Frauen spricht niemand. Im Gegenteil, ihre Anwesenheit wird eher mit Verwunderung oder Missbillugung wahrgenommen.

Eine Szene später haben der Dekan und seine Gattin die neun Studentinnen zusammen mit einigen Professoren zum Abendessen geladen. Der Dekan fordert die jungen Frauen auf, einzeln vom Tisch aufzustehen, sich vorzustellen und zu erklären, warum sie den Platz eines Mannes an der Universität besetzen. Ja, ernsthaft.

Die erste Studentin erzählt von ihrer Kindheit als Tochter eines Anwalts, und wie er in ihr das Interesse an der Jurisprudenz geweckt hat. Der Dekan befindet die Antwort herablassend als „ganz okay“. Die zweite Studentin erwähnt, dass sie weder Lehrerin noch Krankenschwester habe werden wollen, worauf der Dekan sie unterbricht und ihr bescheidet, das sei ja wohl kein guter Grund, Jus zu studieren.

Ginsburg erklärt sarkastisch, ihr Mann studiere Jus im zweiten Jahr, und sie wolle durch das Studium eine bessere und verständnisvollere Ehefrau werden. Die anderen Studentinnen prusten los, auch im Kinosaal lachen wir alle. So lustig die Szene ist, so absurd sie wirkt – sie hinterlässt einen schalen Beigeschmack.

2008 habe ich zu studieren begonnen. Das Umfeld war wohl kaum „männlich dominiert“, waren wir doch zu etwa 2/3 Frauen, doch unsere Dozierenden waren zu einem Grossteil männlich. Auch bei uns hielt der Dekan des vorklinischen Studienteils am ersten Tag eine Rede, die uns allen im Hals stecken blieb:

„An die Frauen unter Ihnen: Haben Sie sich eigentlich überlegt, was sie hier machen? Wann wollen Sie denn bitte Kinder kriegen? Jetzt sind Sie Anfang Zwanzig. Während des Studiums wollen Sie sich wohl kaum fortpflanzen, da haben Sie weder das Geld noch die Zeit. Nach dem Studium? Glauben Sie mir, die Assistenzarztzeit ist streng, da arbeiten Sie 60 Stunden pro Woche. Wie wollen Sie da Zeit für Kinder haben? Und wenn Sie dann erst mal Oberärztin sind, sagen wir, mit Mitte Dreissig, dann wollen Sie arbeiten, ihren Beruf geniessen. Dann wollen Sie bestimmt auch keine Kinder. Und danach sind Sie zu alt dafür. Also überlegen Sie sich gut: Wollen Sie das wirklich?“

Das war 2008, der Inhalt hat sich seit Ginsbergs 50er Jahren aber kaum geändert. Er blieb nicht der einzige, der während des Studiums in dieses Horn hineinblies. Sexismus war für und Studentinnen an der Tagesordnung, denn die meisten Dozierenden waren männlich, genau wie die meisten Ärzte, welche uns in den praktischen klinischen Kursen unterwiesen. Wir lernten, auf die Zähne zu beissen, wegzuhören, zu ignorieren. Währenddessen mussten sich unsere männlichen Kommilitonen selbstverständlich nie dafür rechtfertigen, dass sie sich weder für Gynäkologie noch Pädiatrie interessierten, oder geschweige denn sich für ein operatives Fach begeisterten.

2015 schloss ich mein Studium ab. An der offiziellen Abschlussfeier hielt der klinische Dekan eine Rede – und auch er sprach über Frauen. Seine Kernaussagen: Frauen machen den Beruf kaputt, weil sie alle lieber Teilzeit arbeiten wollen. Ausserdem seien wir alle sowieso völlig auf dem Holzweg mit der ganzen dämlichen „Work-Life“-Balance-Unfug, denn erstens sei Work und Life dasselbe, zweitens müsse man da halt einfach bereit sein, Abstriche zu machen. So.

Die Rhetorik hör ich übrigens besonders gern. „Du hast dir den Beruf selber ausgesucht, du bist halt selber schuld. Das ist nun mal einfach so. Da darf man nicht jammern, sonst muss man was Anderes machen.“ Als hätte man kein Recht auf faire Arbeitsbedingungen, nur weil man seine Seele der Medizin verkauft hat. Als wäre einem mit achtzehn Jahren bewusst, was 60 Stunden Arbeit pro Woche bedeutet. Als könnte man in diesem Alter, in diesem Entwicklungsstadium die Tragweite einer solchen Entscheidung wirklich erfassen.

Zumal man darüber ja wirklich nicht aufgeklärt wird: Ich habe keine Ärztinnen in der Familie oder im Bekanntenkreis. Ich habe mit keiner einzigen Ärztin vor dem Studium sprechen können, mich informieren, ob wie Wirklichkeit mit meinen idealistischen Vorstellungen übereinstimmt. Klar habe ich vor dem Studium ein Praktikum im Spital gemacht (das sogenannte „Häfelipraktikum“, welches so heisst, weil man hauptsächlich Nachttöpfe, auf Schweizerdeutsch „Häfeli“, putzt). Es war ein eher gehobenes Privatspital, und die Ärzte (allesamt männlich, ausser einer einzigen Anästhesistin) haben mich kleinen Wicht ignoriert. Fragen stellen (und atmen, physisch anwesend sein oder schlicht generell existieren) war höchst unerwünscht. Aber gell. Pech gehabt, Seele verkauft und so.

Und was ist mit den Kindern? Alle Frauen müssen zwangsweise Kinder haben wollen? Kinder sind nur Frauensache, und Männer kriegen ein Leben lang einen Freipass, sich ihrer Arbeit zu widmen und die Familie zu vernachlässigen? Nicht nur das, es wird sogar von ihnen erwartet! Wehe dem Mann, der das nicht möchte und sich gerne Zeit für seinen Nachwuchs nehmen würde. Teilzeit? Nix da. Ist was für das Weibsvolk.

Solche Einstellungen, wie sie Ginsberg ein Leben lang bekämpft hat, sind nach wie vor tief in den Köpfen der (sorry, aber hauptsächlich) alten Männer verankert. Längst geht es nicht mehr nur um die Gleichstellung von Frauen und Männern, sondern um faire Arbeitsbedingungen für alle, doch ein Umdenken findet nur langsam statt. Ich hoffe auf den Generationenwechsel, der jetzt im Gange ist, aber auch dieser wird sich noch eine Weile hinziehen.

Wir sind noch lange nicht da, wo wir sein sollten, aber wir gehen in die richtige Richtung. Schritt für Schritt. So, wie Ruth Bader Ginsburg, welche die ersten zwei Prozesse gewann, welche die Diskrimination aufgrund des Geschlechts in Gesetzestexten bestätigten, und damit Präzedenzfälle für Jahrezehnte geschaffen hat.

Neulich im Netz: Die Sache mit der Sprachbarriere

Vor einer Weile hat ein Video auf Twitter hohe Wellen geschlagen. Auch Dr. Mike (im Moment einer meiner Lieblings-Youtubekanäle) hat das Thema aufgegriffen. Der Vorfall hat auch bei mir gemischte Gefühle ausgelöst, weshalb ich das hier thematisieren möchte.

Was ist passiert?

Grossmutter, Mutter und Tochter kommen zu einem Arzt. Die Grossmutter (als Patientin) spricht nur Spanisch, aber die Tochter spricht fliessend Englisch und übersetzt. Gemäss den Erklärungen der Enkelin auf Twitter hat der Arzt die Patientin wiederholt scharf kritisiert, weil sie seit 45 Jahren in den USA ist und kein Englisch spricht. Ein Teil davon ist auch im Video zu sehen.

Alter Falter.

Die USA ist ein Land, welches hauptsächlich von Immigranten bevölkert wird, und welches zumindest auf Bundesebene keine offizielle Sprache hat. Einzelne Staaten haben Englisch als offizielle Sprache eingeführt, aber nicht alle. Spanisch ist die häufigste gesprochene Fremdsprache, und die USA haben den fünfthöchsten spanisch-sprechenden Bevölkerungsanteil weltweit (nach Ländern wie Mexiko, Argentinien und Spanien).

Also erstmal: Das geht einfach nicht. Du kannst als Arzt nicht einfach hingehen und sagen, hey, es ist scheisse, dass du nach 45 Jahren kein Englisch sprichst, weil es einfach komplett unprofessionell ist. Das geht dich schlicht und einfach nichts an, du bist da, um dem Patienten zu helfen, Punkt. Jeder, und ich meine jeder Patient, egal welcher Nationalität, Sprache, Gender, Hautfarbe, Religion undsoweiterundsofort verdient deine urteilsfreie Behandlung. Nochmal Punkt.

Da wir das nun aus dem Weg geschafft haben, kommt das grosse „aber.“ Wer hätte es gedacht: Dinge sind nicht einfach, und auch nicht schwarz und weiss.

Ich sehe tagtäglich Patienten in der Sprechstunde, welche schlecht bis kein deutsch sprechen. Italienisch, Spanisch, Portugiesisch, Kurdisch, Serbo-Kroatisch und Türkisch sind wohl so am häufigsten, dazu kommen zum Beispiel Arabisch, Tigrinya, Farsi oder Tamil. Es gibt in unserem Spital keine offiziellen Übersetzer, das lohnt sich einfach finanziell nicht. Es gibt eine Liste, in welche sich Mitarbeiter eintragen können, damit man sie beiziehen kann, wenn es nötig ist, aber die sind dann häufig nicht da (weil Schichtbetrieb und so) oder haben keine Zeit. Im Büro hab ich den PC, da komme ich mit dem Google Translator manchmal noch ein Stück weiter.

Sprachen lagen mir schon immer, ich spreche gut Englisch und passabel Französisch. Spanisch verstehe ich, kann es aber kaum sprechen. Vor einer Weile hab ich mit Duolingo italienisch zu lernen begonnen. Das reicht inzwischen aus, um Anamnesen und Aufklärungsgespräche zu führen, wenn auch längst nicht im selben Detail wie auf deutsch oder englisch. Italienisch brauche ich wirklich sehr oft, und bin immer wieder begeistert, wie willig die Patienten sind, mir neue Worte beizubringen, wenn mir der Wortschatz fehlt – zuletzt hat mich ein Patient begeistert „ossigeno“ (Sauerstoff) gelehrt.

Wirklich, häufig ist es kein unlösbares Problem mit einem fremdsprachigen Patienten. Man verständigt sich mit Händen und Füssen, lehrt sich gegenseitig neue Worte. Manche Patienten bringen jemanden mit, der übersetzen kann, darüber bin ich dann immer sehr froh und bedanke mich auch ausdrücklich beim Übersetzer dafür.

Wobei auch die Übersetzer immer eine Fehlerquelle sind, weil man sich nie ganz sicher ist, ob sie Fragen direkt und Antworten ehrlich übersetzen, besonders bei heikleren Themen. Und ja, natürlich ist es nicht dasselbe, ob ich ein Gespräch direkt mit dem Patienten direkt oder über ein übersetzendes Familienmitglied führe, aber wir arbeiten nunmal mit dem, was wir haben.

Aber es gibt auch immer die Fälle, die etwas schwieriger sind. Die kommen zwar nur vereinzelt vor, sind aber trotzdem belastend für alle Parteien.

Hin und wieder haben wir Patienten, welche darauf bestehen, dass wir ihre Sprache sprechen. Fliessend. Das ist gelegentlich einfach nicht möglich, besonders in Notfallsituationen. Auch habe ich im normalen Sprechstundenablauf keine Möglichkeit, damit Zeit zu verlieren, einen Übersetzer zu finden, selbst wenn ich denn einen auftreiben könnte, dafür fehlt mir einfach die Zeit – ein Systemfehler. Die nötigen Strukturen sind schlicht nicht vorhanden.

Plus, das Vorgespräch ist ja das eine, aber in den OP kann man keinen Übersetzer mitnehmen. Vom Moment an der Schleuse ist der fremdsprachige Patient auf sich alleingestellt. Ich kann mir nicht einmal ansatzweise vorstellen, wie sich das anfühlen muss. Man ist krank, ängstlich, verunsichert. In einer fremden Umgebung mit vielen unbekannten Menschen rundherum. Man versteht nicht, was mit einem geschieht, und warum. Für uns mag die Situation mühsam sein, aber für den Patienten ist sie schlicht der Horror.

In der heutigen Zeit ist es eine natürliche Gegebenheit, dass man Patienten hat, welche kein Deutsch oder Englisch sprechen. Jeder, der im Spital arbeitet, kennt die Schwierigkeiten, jeder hat schon erlebt, wie einem da manchmal der Geduldsfaden ganz, ganz dünn wird oder in besonders schwierigen Situationen sogar reisst.

Im schlimmsten Fall breche ich die Sprechstunde ab und weise den Patienten an, zu einem anderen Termin mit einem Übersetzer zu kommen. Ich kann auch darauf hinweisen, dass ein medizinisches Gespräch eine sensible Sache ist, ich meine Informationen brauche und das hier jetzt deshalb nicht zielführend ist. Jedoch: Es ist weder mein Job noch meine Position, jemandem deswegen direkte Vorwürfe zu machen. Soviel Professionalität sollte sein.

Neulich im Netz

Eine grässliche Nacht hat eine Patientin in einem Zürcher Spital hinter sich: Nach einer Mandeloperation blutet sie plötzlich aus dem Mund. Doch als sie den Notrufknopf drückt, kommt keiner – eine halbe Stunde lang, gemäss Angaben der Patientin. Schliesslich ist sie so verzweifelt und verängstigt, dass sie den Notruf, in der Schweiz die 144, wählt.

Die Person, die den Notruf entgegennimmt, versucht, jemanden auf der Station zu erreichen, doch niemand geht ran, weshalb irgendwie irgendjemand anders aus dem Spital zur Patientin geschickt wird. Als die Person eintrifft, ist die Blutung zum Glück bereits von alleine zurückgegangen.

Erstmal: Wow. Das muss ein absolutes Horrorerlebnis gewesen sein. Ich hoffe, es geht der Patientin gut, und sie hat sich vom Schreck erholen können. Es hätte durchaus auch schlimmer enden können – Nachblutungen nach Mandelentfernungen können gelegentlich mal wie Sau bluten. Und: Gut reagiert! Rumlaufen, bis man irgendjemanden findet, ist nachts oft nicht besonders von Erfolg gekrönt.

Aber da stellen sich doch Fragen: Warum? Wie konnte das passieren?

Nun, gemäss Artikel war die Pflegeperson der Station gerade in einem anderen Bereich wegen eines Notfalls.

Und da, genau da liegt der Hase im Pfeffer.

Nachts hat man in den meisten Spitälern exakt eine Pflegeperson pro Station, und dazu vielleicht ein/e FaGe oder Pflegeassistenz. Das ist eine, genau eine diplomierte Person für im Schnitt 20 Patienten.

Man stelle sich nun vor, es gibt irgendeinen Zwischenfall. Ein Patient stürzt und muss auf die Beine gestellt werden, oder eine Reanimation, vielleicht auch mal ein Patient, der ausrastet und beruhigt werden muss.

Das schafft man nicht alleine. Soll man auch nicht. Man schafft es auch nicht zu zweit – je mehr Hände, desto besser. Da sind Pflege und Assistenz von zwei, drei Stationen schnell einmal eine Weile beschäftigt, und je nach Art des Zwischenfalls kann das schnell mal eine Stunde gehen. Und so lange ist dann die Station unbesetzt.

Deswegen wird nachts der Patientenruf auch auf mehr als nur einer Station angezeigt, meist noch auf den benachbarten oder sogar denen darüber und darunter. Wenn es dann eine Viertelstunde konstant piepst, kann je nach Kapazität vielleicht auch jemand anderes nachschauen, was denn los ist. Dieses System hat laut Artikel just in dieser Nacht nicht funktioniert, was natürlich maximal ungünstig ist. Aber frei nach Murphy’s Gesetz muss ja auch alles schief gehen, was schief gehen kann.

Wenn das System nun so fragil ist, dass bereits ein Zwischenfall eine oder sogar mehrere Stationen verwaist zurücklässt, warum verbessert man es dann nicht?

Ihr ahnt vielleicht, worauf das hinausläuft. Ist ja schliesslich auch immer dasselbe. Fachkräftemangel und Sparmassnahmen. Es wird nicht mehr Personal eingestellt, weil man es a) nicht hat und es b) etwas kostet, und Kosten im Gesundheitswesen sind ja grundsätzlich des Teufels.

Das Personal, das sind wir. Pflegefachfrauen und -Männer, Fachangestelle Gesundheit, Ärzte und so weiter. Darum stösst mir auch der letzte Satz des Artikels ganz schön sauer auf: „Die Ärzte haben sich entschuldigt.“

Bestimmt haben sie das getan. Bestimmt hat sich auch die Pflegeperson entschuldigt, die Nachtdienst hatte, und wahrscheinlich sogar die Pflegepersonen der Tagschicht nochmals.

Aber warum müssen sie das überhaupt? Wir sind die Sklaven der Politiker und der Sesselfurzer der Teppichetage. Wir sind die ausführende Hand, die Front, wir arbeiten fremdbestimmt in einem System, auf welches wir keinen Einfluss haben und müssen die Entscheidungen derer ausbaden, die keine Ahnung haben und nur Geld zählen können.

Das hier ist wahrscheinlich auch nur einer von vielen Vorfällen, die aber meist nicht an die Medien gelangen. Zum Glück ist dieser Patientin nichts Schlimmeres passiert. Andere Patienten haben vielleicht weniger Glück.

Neulich im Netz

„Hypnose ist in Schweizer Spitälern auf dem Vormarsch“ –  titelt Watson.ch, und legt gleich noch einen drauf: „Wie mit Hypnose in Schweizer Spitälern die Prämienexplosion gestoppt werden soll“

Was je nach Vorurteilen komplett lächerlich oder unglaublich innovativ daherkommt, ist bereits seit Jahren im Gespräch. Dank Hypnose soll der Patient entspannt genug sein, um die Operation anstatt in Vollnarkose auch in Teilnarkose oder örtlicher Betäubung durchzustehen. Daher eine erste Relativierung: Ganz ohne etwas geht es nicht.

Eine Narkose besteht (ganz grob) aus zwei Teilen: Ausschaltung von Schmerz und Ausschaltung des Bewusstseins. Mit Hypnose würde man den Bewusstseinsteil aus der Narkose rausnehmen.

Wer hier regelmässig liest, weiss schon lange: Eine Vollnarkose braucht es für viele Eingriffe gar nicht, eine Teilnarkose, zum Beispiel die Betäubung eines Arms oder Beins, reicht völlig aus. Voraussetzung ist, dass der Patient für die Dauer der Operation schön still liegen kann.

Tatsächlich, auch bei uns im Team haben wir zwei Oberärztinnen, die aktuell eine solche Ausbildung machen. Die beiden verstehen Hypnose allerdings auch nicht als Ersatz, wie es im Artikel suggeriert wird, sondern eben als Ergänzung in allen Bereichen. Nicht nur während der Operation, sondern auch rundherum, zum Beispiel vor einer Vollnarkose, damit er ruhiger einschläft, oder beim Legen eines schwierigen Zugangs beim verängstigten Patienten.

Jetzt, wie „stoppen“ wir damit „die Prämienexplosion“? Es senke Kosten, wenn man weniger Vollnarkosen macht. Na, soviel scheint irgendwie klar, es braucht weniger Equipment, man muss weniger Medikamente geben, braucht weniger Personal. Oder?

Tatsächlich muss für jede Operation mit Anästhesiebegleitung immer das volle Equipment vorhanden sein, denn nur so ist man für den Notfall vorbereitet. Man stelle sich vor, es gäbe einen Vorfall, zum Beispiel einen Herzstillstand, und der Anästhesist steht zwar daneben, kann aber nichts machen, weil er keine Beatmungsmaschine oder keine Medikamente dabeihat.

Des Weiteren: Was ist denn das Teure an der Operation? Der Anästhesist (der für mindestens 4 Narkosen gleichzeitig zuständig ist)  und der Anästhesiepfleger, die Medikamente im Wert von 50 Franken in den Patienten schütten? Oder ist es vielleicht doch der Chirurg, seine zwei Assistenten, eine OP-Pflege am Tisch und eine sonst im Saal als Handlanger? Das Gerät für Klammernähte, bei welchem ein Set allein schon 100 Franken kostet, die Prothese für 10’000 Franken und so weiter?

Dann braucht es ja doch einen Anästhesisten für die Teilnarkose. Für die örtliche Betäubung nicht, klar. Aber will man denn echt das Risiko eingehen, dass während der Operation niemand dabei ist, der im Notfall handeln kann? Unsere Chirurgen beantworten sich diese Frage so: Wenn es ohne Anästhesist geht, brauche ich es nicht im OP-Saal durchzuführen. Also brauche ich auch die Infrastruktur nicht, und führe den Kleineingriff in einem dafür eingerichteten Raum ausserhalb der OPs durch.

Übrigens, von wegen Zeit und Ressourcen: Die Krux an der Teilnarkose ist, sie ist technisch und zeitlich deutlich aufwändiger als eine Vollnarkose. So ein Block braucht auch Material, Medikamente, Menschen. Es braucht einen Anästhesisten plus eine Assistenz, allein geht es nicht – wie bei einer Vollnarkose. Es braucht Erfahrung, gutes Teaching – es ist deutlich einfacher eine Vollnarkose (unter normalen Umständen) durchzuführen, als eine Regionale zu stechen. Der Zeitbedarf ist schwieriger abzuschätzen, er variiert je nach anatomischen Gegebenheiten, Kooperation der Patienten, Erfahrung und Tagesform des Anästhesisten…

Und es bräuchte natürlich eben Fachpersonal für Hypnose, sprich dafür ausgebildete Anästhesisten oder Anästhesiepfleger. Natürlich könnten auch medizinische Laien die Hypnose durchführen. Aber dann braucht es ja trotzdem jemanden, der das Ganze überwacht, medizinische Probleme sofort erkennt und sie beheben kann.

Das kratzt nun alles nur ganz oberflächlich an der Problematik, und ich könnte noch viel mehr schreiben. Aber das soll jetzt erst mal genügen.

Wie so häufig gilt auch hier: Wenn die Lösung so einfach erscheint, dann hat man sie meistens nicht gründlich genug beleuchtet, und/oder schlicht und einfach zu wenig Ahnung.

Neulich im Netz

Wer Schweizer Fernsehen kennt, der kennt vermutlich auch die „Arena“. Für diejenigen, die kein Schweizer Fernsehen haben: Die Arena ist eine Fernsehsendung, in welcher sich Politiker (und andere Personen, die eine Meinung haben, zu welcher sie gerne lauthals und öffentlich stehen möchten) um einen Moderator scharen und sich dann zu einem bestimmten Thema gegenseitig eine Stunde lang anpflaumen, unterbrechen und nicht zuhören.

Ich ertrage die Sendung im Schnitt etwa zehn Minuten, tue sie mir aber meistens doch an, wenn es um Gesundheitsthemen geht. Zwischendrin brauch ich dann gelegentlich eine Pause und ein Kissen zum Reinschreien und -boxen. So, wie am letzten Freitag zum Thema „Gesundheitssystem auf der Intensivstation“ – was, um Himmelswillen bitte, was tun wir denn nur gegen die jährlich steigenden Krankenkassenprämien?

In der Runde stehe Politiker und eine Vertreterin des Krankenkassenverbands. Lasst uns mal raten, wieviele  von denen im Gesundheitswesen tätig sind. Na? Genau. Keiner. Krankenkassen zählen nicht, die sind schliesslich der BöFei.

Irgendwo in der Ecke sitzen ein Arzt und eine Vertreterin des Patientenschutzes. Eine gelungene, ausgewogene Kombination, Vertreter der Ärzteschaft und Vertreter der Patienten. Zwei Stimmen, die in dieser Diskussion unbedingt gehört werden müssen – auf der Ersatzbank. Naja. Dazu sitzen im Publikum wild durcheinandergewürfelte Menschen, sozusagen Zivilisten, allen Alters.

Das Thema sind, wie gesagt, die seit Jahren stark ansteigenden Krankenkassenprämien. Es geht um eine ganze Menge an Vorschlägen, die derzeit wie Herpesbläschen aus der Haut der politischen Landschaft hervorspriessen, die alle eine supergute Vorstellung haben, wie wir ein krankes System wieder gesund und billig machen können.

Und dann geht’s auch schon los – die erste Hutschnur reisst schon nach fünf Minuten, bis zu meinem ersten Schreikrampf geht es ein bisschen länger.

Gut gefallen hat mir das Statement: „Alle sagen, ja, man muss etwas ändern, aber dann kommt das Aber: Dieser Vorschlag passt mir aus diesen und jenen Gründen nicht.“ So werde nie eine Lösung gefunden. Dem kann ich nur zustimmen – man sollte Vorschläge generell einfach akzeptieren und möglichst schnell umsetzen. Die Diskussion um Vor- und Nachteile ist doch bestimmt total sinnlos, und Fehler sind immer von vornherein klar ausgeschlossen – insbesondere, wenn die Vorschläge von komplett ahnungslosen, unbeteiligten Bürogummis kommen, die in ihrem Leben noch nie die Überlegung machen mussten, ob sie sich den nächsten Arztbesuch leisten können.

In der ersten halben Stunde wird vor allem über Arztbesuche diskutiert. Als ob die das Teuerste in unserem Gesundheitssystem wären. Als ob die steigenden Kosten allein auf dem Mist der ambulanten Patienten wachsen, die wegen „Bobos“, unnötigem Kleinkram, einen Arzt aufsuchen. Und ja, darüber hab ich mich ja auch schon oft genug aufgeregt. Hier zum Beispiel. Ja, das ist ein Problem – aber natürlich beileibe nicht das einzige.

Dagegen spricht ein anderer Politiker: Also er kenne imfall niemanden, der wegen einem „Bobo“ einen Arzt aufsuche. Menschen wollen nicht krank sein, heisst es dann, sie wollen nicht zum Arzt, sie gehen nur, wenn sie unbedingt müssen. Dazu hat er wahrscheinlich eine breitangelegte Befragung seiner selbst, seiner Mutter und seiner Ehefrau geführt. Wer so etwas sagt, disqualifiziert sich meiner Meinung nach gleich selbst von der Diskussion, denn er hat offensichtlich noch nie im Spital oder in der Praxis gearbeitet, geschweige denn jemandem zugehört, der das tut.

Auch sehr schön gefiel mir die Forderung, der „Leistungserbringer“ (sprich: Arzt) solle Patienten, die keine Behandlung brauchen, einfach nicht behandeln. Darüber muss ich dann schon ein bisschen lachen. Und ein bisschen schreien.

Nehmen wir das Beispiel aus meinem oben verlinkten Blogbeitrag: Eine Frau schickt mit morgens um halb 6 ihren Ehemann vorbei. Sie hat ihm gerade eine Zecke entfernt und möchte, dass ich nachschaue, ob alles draussen ist. Dem würde ich dann entsprechend einfach sagen: „Nein, ich behandle Sie nicht. Das ist kein Notfall.“

Der Punkt ist, ich entscheide nicht, was sich für den Patienten wie ein Notfall anfühlt. Viele Patienten, die auf den Notfall kommen, haben auch das Gefühl, dass sie einer sind – weil sie keine medizinischen Fachkräfte sind, die das beurteilen können. Wenn ich denen sage, sie brauchen (und erhalten) keine Behandlung, dann gehen sie woanders hin. Und nochmal woanders. Bis sie die Hilfe bekommen, die sie erwarten, selbst wenn diese Hilfe nur aus einem „keine Angst, das ist nichts Schlimmes“ besteht.

Was ist nun mit den anderen Patienten? Die, welche vorbeikommen aus Langeweile, aus „ich war sowieso grad in der Nähe“, aus Bequemlichkeit weil der Hausarzt erst um 13 Uhr aufmacht?

Klar, da könnte man was rausholen. Aber ehrlich: Wer soll die denn bitte erziehen, und wie? Wenn ihre Mama und ihr Papa das nicht hingebracht haben, wie soll das denn irgendwer sonst erreichen? Soll das vielleicht der Staat in die Hand nehmen müssen? Oder der Arzt? Ich bin nicht hier, um (im Idealfall) erwachsenen Personen zu erklären, warum sie für eine bereits entfernte Zecke nicht auf den Notfall kommen können. Nicht mein Job. Sorry.

Ich könne Bücher über die Sendung schreiben – aber vielleicht lass ich das lieber. Das ist echt schlecht für meinen Blutdruck. Alles in Allem war es jedenfalls eine Menge heisse Luft, mit vereinzelt vielleicht sogar vielversprechenden Ideen, die irgendwo zwischen zu grossen Egos und lautstark hervorgebrachter Ahnungslosigkeit untergingen.

Teilnarkosen für alle!

 

Das Schweizer Magazin Beobachter hat einen detaillierten Artikel über Teilnarkosen geschrieben. Darin sind die einzelnen Verfahren detailliert beschrieben, mit Vor- und Nachteilen und Wirkung. Auch ein namhafter Experte äussert sich, von welchem ich auch selbst schon einen Vortrag geniessen durfte. So weit, so gut.

Ich muss allerdings sagen, ich hab trotzdem ziemlich den Kopf geschüttelt.

Begonnen hat es mit dem Titel: „Operation läuft, Patient wach“. Hand hoch, wer dabei zuerst an Teilnarkosen denkt – okay – und jetzt Hand hoch, wer dabei an Horrorgeschichten von Patienten denkt, die während Narkosen wach werden und alles mitbekommen, aber sich nicht bewegen können. Das bin doch nicht nur ich, oder?

Dann die Dramatik im ersten Satz: „Eine Vollnarkose ist vielen unheimlich.“ Wer mein Blog schon nur gelegentlich verfolgt, weiss, dass Ängste vor der Narkose weit verbreitet und meine Kollegen und ich mir dessen durchaus bewusst sind. Aber: Tatsächlich ist den meisten Patienten die Teilnarkose unheimlicher.

Eine Vollnarkose stellen sich die Meisten relativ einfach vor. Einschlafen, aufwachen, vorbei. Was kann dabei schon gross schiefgehen? Naja, vielleicht ausser diesem grässlich gefürchteten Aufwachen während der Narkose. Aber sonst? Im Fernsehen sieht das immer so leicht aus.

Aber wach sein während der Narkose? Mitbekommen, vielleicht sogar sehen, was gemacht wird? Hören, was gesprochen wird? Ich habe sehr oft Patienten, denen das absolut nicht geheuer ist, insbesondere jüngere und/oder solche, die regelmässig Drogen konsumieren.

Wenn ich für eine Teilnarkose aufkläre, dann muss ich die schlimmsten Dinge erzählen. Man sticht mit einer Nadel irgendwo rein. Wer, bitteschön, mag denn Nadeln? Niemand. Und was man da alles verletzen kann – Gefässe, das gibt einen Bluterguss, oder den Nerv selbst, dass man davon vielleicht sogar eine Lähmung davonträgt? Bei Blöcken im Halsbereich erzähle ich, dass man die Lunge verletzen kann, dass Nerven mit einschlafen können, die das Zwerchfell oder das Gesicht versorgen. Das klingt doch alles ganz grässlich, das will doch keiner!

Tatsächlich liegt die Kunst darin, den Patienten so aufzuklären, dass man ihm nicht noch Angst vor der gewählten Methode macht. Die Risiken, so sage ich, sind wirklich extrem klein. Ich muss sie erwähnen, aus rechtlichen Gründen, aber passieren tut wirklich fast nie etwas. Wir haben ja den Ultraschall, betone ich, damit sehen wir ganz genau, was wir tun und können das Risiko minimieren.

Bei der Spinalen kann ich den aber auch nicht bringen, denn diese wird ohne Ultraschall gemacht, ausser in ganz schwierigen Fällen bei sehr dicken Patienten. Sobald man die Wirbel gut tasten kann, ist das Stechen meist auch kein Problem. Aber die Angst vor der Querschnittlähmung sitzt tief, sobald der Patient die Worte „Nadel“ und Rücken“ hört. Dabei haben auch von meinen erfahrenen Kollegen diese Komplikation kaum je gesehen. Was ausnahmsweise vorkommen kann, ist, dass ein Kribbelgefühl bleibt, aber das verschwindet meist nach ein paar Tagen, sehr selten mal erst nach ein paar Wochen.

Tatsache ist, wenn ich anfange mit „Diese Operation kann man in Voll- oder in Teilnarkose durchführen“, dann reagieren deutlich mehr Patienten mit „Nein, also eine Teilnarkose kann ich mir überhaupt nicht vorstellen“ als mit „Eine Vollnarkose kommt für mich nicht in Frage.“

Nun kommt das Aber: Genauso, wie sich nicht jeder Patient für eine Vollnarkose eignet, eignet sich auch nicht jeder Patient für eine Teilnarkose. Zuerst mal muss man stillhalten können. Man muss sich damit abfinden können, dass ein oder mehrere Körperteile sich anfühlen, als wären sie nicht mehr da. Das ist auch eine Art Kontrollverlust, und, wenn ich den Berichten meiner Patienten glauben darf (und das darf ich, die wissen es besser als ich), eine gewöhnungsbedürftige Sache.

Dann sind Teilnarkosen auch häufig nicht absolut. Patienten können durchaus noch spüren, dass an ihnen gearbeitet wird. Die Schmerzreize sind ausgeschaltet, aber es kommt immer wieder vor, dass das Gefühl für Druck und Bewegung intakt bleiben. Das Gefühl „Berührung“ vom Gefühl „Schmerz“ zu unterscheiden, wenn man genau weiss, dass da jemand mit Skalpellen oder Bohrern arbeitet, kann mitunter schwierig sein. Insbesondere für Patienten, die ohnehin schon ein schlechtes Körpergefühl haben.

Manchmal bleibt auch die Beweglichkeit vorhanden, oder verschwindet erst mit der Zeit. Die Nerven für die Motorik und die Nerven für Schmerzreize reagieren unterschiedlich auf die Betäubungsmittel. Die Patienten haben dann das Gefühl, dass etwas nicht stimmt, und bewegen demonstrativ, so lange und so fest sie können, was dann wiederum Operateur und OP-Pflege wahnsinnig macht.

Nun, versteht mich nicht falsch. Ich liebe Teilnarkosen. Ich mache sie unglaublich gerne,  finde sie eine fantastische Sache und ich versuche, wann immer möglich, Patienten darauf aufzuklären. Patienten haben häufig völlig zu Unrecht Angst vor Teilnarkosen. Wir sollten viel mehr davon machen – das würde dann wiederum auch die Sicherheit erhöhen, denn je öfters man etwas macht, desto besser kann man es. Ich habe das Glück, in einer Klinik zu arbeiten, an welcher Teilnarkosen zum täglichen Brot gehören, und wir sehen wirklich nur sehr, sehr selten Probleme.

Ich wünsche mir, mehr Patienten wären für Teilnarkosen offen, und dafür ist dieser Artikel wunderbar. Allerdings sollte die Bereitschaft für eine Teilnarkose nicht auf der Angst vor einer Vollnarkose beruhen, sondern auf dem Verständnis, dass es eine in etwa gleichwertige Methode ist mit ihren eigenen Vor- und Nachteilen.

Neulich im Netz

Wenn der tatsächlich Arzt ist, sollte der dringend nochmal ein paar Vorlesungen besuchen. Glaub ich aber eher nicht.

Ihr als treue Leser wisst’s ja zum Glück besser – der hippokratische (joah das ist ja auch wirklich schwer zu schreiben, kein Wunder, hat sich der Gute einen kürzeren Griechen ausgesucht) Eid wird nicht mehr geschworen. Und dies zu Recht.

(Gefunden unter einem DocCheck Blogpost)