Als kleines Spital verlegen wir regelmässig Patienten in grössere Spitäler, denn es kommt nicht selten vor, dass wir mit gewissen Dingen überfordert sind. So zum Beispiel Operationen, die einen Spezialisten brauchen – Handchirurgie, Neurochirurgie, Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie. Dann natürlich Herzinfakte, Hirnschläge, Arterienverschlüsse. Kleine Kinder gehören auch dazu, wir dürfen keine Kinder unter 6 Jahren behandeln.
Manchmal kommt dann irgendwann – am ehesten nachts zwischen 10 und 4 Uhr morgens – ein Telefon von einem Spezialisten, beziehungsweise dem Assistenzarzt, der und „nur kurz Feedback“ geben will. Übersetzt heisst das dann: Ich will meckern.
Lustigerweise bekomme ich noch häufig solche Telefonate, häufiger jedenfalls als manche meiner Kollegen. Meist betrifft das Patienten, die ich nicht kenne, die jemand anders betreut und verlegt hat. Ich habe dann vielleicht eine Übergabe bekommen vom Dienstarzt im Rahmen von „…und dann war noch Frau Müller-Meier, Jahrgang 34, kam mit Brustschmerzen, hatte einen Herzinfarkt, wurde in die Uniklinik verlegt.“, ich weiss also, worum’s ungefähr geht. Und so läuft das dann ab:
Ganz wichtiger Arzt: „Hallo, ich rufe an wegen Frau Müller-Meier. Die habt ihr uns heute Nachmittag verlegt. Ich wollte dazu noch ein kurzes Feedback geben.“
Ich: „Ja?“
GwA: „Ja also die hatte ja einen Herzinfarkt. Und sie hatte schonmal einen, vor drei Wochen.“
Ich: „Mhm.“
GwA: „Und danach war sie bei euch zur Nachsorge und ist vor vier Tagen nach Hause gegangen.“
Ich: „Okay.“
GwA: „Ja also, wir haben herausgefunden, warum. Sie hat ihre Blutverdünnung nicht genommen.“
Ich: „Aha.“
GwA: „Ja, weil, Sie haben die Patientin nach Hause geschickt, mit einem Rezept für die Blutverdünnung, und ihr war nicht klar, dass sie das nehmen muss. Darum hat sie sie nicht genommen, weil, sie wollte die Pillen beim Hausarzt abholen und der war in den Ferien, also hat sie gedacht, sie holt sich die Tabletten einfach, wenn er wieder da ist. Ihr war nicht klar, dass sie die sofort nehmen muss.“
Ich: „So.“
GwA: „Ja und dazu wollte ich halt noch ein kurzes Feedback geben. Also Sie müssen schon sicher sein, dass den Patienten klar ist, welche Medikamente sie nehmen müssen. Also da muss man halt nachdoppeln, da muss man dann hinsitzen mit der Patientin und ihr sagen, das müssen Sie jetzt nehmen. Und vielleicht muss man ihr dann Tabletten mitgeben, damit sie zuhause auch hat, wenn der Hausarzt schon nicht da ist, und…“
Er redet dann noch eine Weile weiter. Meiner Erfahrung nach lohnt es sich, so zu tun, als würde es einen interessieren und als wäre man echt froh über das „Feedback“. Wenn dir einer aus einer grossen Klinik erklären will, was du in deinem Spielzeugkrankhenhaus alles falsch machst, weil er keine Ahnung hat, wie es in der Peripherie läuft, dann reagierst du mit „Ah ja, das ist natürlich gar nicht gut. Ja, da haben Sie natürlich recht. Selbstverständlich, da kann man sicher etwas verbessern. Ich werde das gleich morgen früh am Rapport zur Sprache bringen. Natürlich, vielen Dank für die Rückmeldung, das hilft uns sehr.“ Dann hören sie auch irgendwann wieder auf zu reden, und du kannst weiterarbeiten.
Am nächsten Morgen am Rapport habe ich dann das Gespräch kurz zusammengefasst, und der behandelnde Kollege hat geseufzt gesagt“Aber ich habe dazu drei lange ausführliche Gespräche geführt, im Beisein der Angehörigen, und wir haben die Medikamente und das Vorgehen besprochen, und bei der Entlassung hat sie mir versprochen, noch am Nachmittag zum Hausarzt zu gehen, weil sie lieber zu ihm will als in die Apotheke, um die Medikamente gleich abzuholen. Was soll ich denn sonst noch tun?“
Der GwA hätte darauf vielleicht eine Anwtort gewusst – wir wussten keine.