Lieschen Müller bloggt über ihren Alltag als Chirurgin und Mutter. Kürzlich hat sie einen Post über Sprach- und Verständigungsprobleme veröffentlicht, zu welchen ich nur wenige Tage später meine eigenen Erfahrungen machen durfte.
Herr Silva ist für eine Nierensteinentfernung geplant. Bereits an der Schleuse informiert er mich: „Solo Italiano e portugues.“
Da muss ich ihn leider enttäuschen: Ich spreche nur leidlich italienisch und brockenweise Spanisch. Englisch, Französisch, alles kein Problem, aber Italienisch habe ich nie wirklich gelernt, nur da und dort etwas aufgeschnappt. Ich liebe Sprachen, ich lerne sie sehr viel leichter als den ganzen Medizinkram. Super Berufswahl, Frau Gramsel. Hättest es auch etwas einfacher haben können.
„Parla solo un poco italiano, mi scusi“, gebe ich zurück. „Mi chiamo Gramsel, sono la dottoressa. Anesthesia. Okay?“
Er grunz missfällig.
In der Vorbereitung spreche ich weiter Hochdeutsch, gewürzt mit dem Italienisch und Spanisch, das ich irgendwie zusammenkratzen kann. Er regt sich zunehmend auf. „Italiano!“, fordert er immer wieder. Ich zucke mit den Schultern. „Solo un poco.“ Er verliert zunehmend die Geduld.
Nun ist es ja nicht so, als hätte ich nie fremdsprachige Patienten. Allerdings sind die Patienten in aller Regel diesbezüglich sehr offen, man verständigt sich mit Händen und Füssen, lässt von dieser und jener Sprache etwas einfliessen und trifft sich irgendwo in der Mitte. Und während man für Aufklärungsgespräche wann immer möglich jemanden beizieht, der übersetzen kann, ist dieses Vorgehen im OP halt einfach weder praktisch noch konsequent umsetzbar. Aber eben, normalerweise trifft man sich. Man hat die Geduld, hört sich zu, schaut sich an, versucht zu deuten. Fast eine Art Spiel.
Nicht so bei Herrn Silva. Er hat weder Lust noch Geduld, einen Schritt auf mich zuzugehen. Italiano oder portugues oder niente, basta.
Tja.
Die Narkose selber ist dann kein Problem, er schläft gut ein, wacht gut wieder auf, fertig. Aber am Abend habe ich ja das Vergnügen, ihn zu „postmedizieren“, also die postoperative Visite zu absolvieren. Normalerweise geht man da hin, fragt, ob alles gut sei, ob der Patient gut geschlafen habe, ob er Schmerzen oder Übelkeit verspüre.
„Buona sera! Sono la dottoressa della anestesia. Von heute Morgen. Wie geht es Ihnen? Tutto va bene?“
„Italiano?“, fragt er. Ich bringe zum fünfzigsten Mal meine Antwort. Nein, nur ein bisschen. Sorry.
Für die nächsten ein, zwei Fragen hat er noch Geduld. Dolori? Si, si, aber es geht. Dormire? Jaja, gut geschlafen. Übelkeit?
Jetzt reisst ihm irgendwo ein Geduldsfaden. Er schreit mich an, er spreche nur italienisch, und er sei sowieso schon nervös, da solle man gefälligst auch italienisch mit ihm reden.
Nein.
Guck. Ich gebe mir echt Mühe. Ich lerne dazu, was immer ich kann. Etwa die Hälfte meines Vokabulars sind Wörter, welche mir Patienten beigebracht haben. Stomaco. Fa male qua? Anestesia locale. L’ultima volta. La prossima volta. Aber ein bisschen Entgegenkommen brauchen wir beide. Wenn man an einem Ort lebt, dessen Sprache man nicht spricht, muss man ein bisschen Geduld haben, ein bisschen Verständnis. So, wie ich versuche, Verständnis und Geduld aufzubringen, wenn jemand keine meiner Sprachen spricht.
Und wenn man mich anschreit, dann geh ich halt wieder, und schreibe einen passiv-aggressiven Eintrag in die Krankenakte.
Bei solchen Patienten hab ich dann auch keine Lust mehr, mir jemanden zum Übersetzen zu suchen. Wenn er nicht will, dann hat er gehabt – schreien bringt niemanden irgendwo hin. Und ist ja auch nicht so, als hätte ich irgendwelche wichtigen Infos – ich hätte ihm nur noch gesagt, dass während der Narkose alles gut ging. Da kann ich mich ohne schlechtes gewissen einfach ausklinken.
Sorry, not sorry.