Ein bisschen lachen musste ich schon, als ich vor einigen Monaten Headline des Tagesanzeigers las – es war aber ein eher freudloses, sarkastisches Lachen.
„Spitalpatienten aufgepasst: Der Arzt ist womöglich übermüdet“
Ach ja wirklich? Wer hätte das gedacht! Sowas aber auch!
Aber beginnen wir von vorn.
Kurz zusammengefasst berichtet der Tagi, dass Ärztinnen und Ärzte länger arbeiten, als es das Arbeitsgesetz erlaubt. Es herrsche eine Angstkultur, in der Überstunden nicht aufgeschrieben werden. Auch könne man nicht einfach aufhören oder heimgehen, wenn man müde sei, weil es eben niemanden gibt, der die Arbeit für einen übernimmt. So würden Ärztinnen und Ärzte eben auch arbeiten, wenn sie übermüdet sind, und sich eigentlich gar nicht mehr richtig konzentrieren können, was eben zu mehr Fehlern führt.
Dabei gilt zu bedenken, dass ärztliches Personal schon eine Sonderregelung bezüglich der Arbeitszeiten hat, da die meisten von ihnen vertraglich eine 50-Stunden-Woche leisten müssen. 50 Stunden ist die vorgeschriebene Wochenarbeitszeit. Das ist schon mal 8 Stunden oder fast ein Arbeitstag mehr, als der Durchschnittsarbeiter (zu denen übrigens auch die Pflege gehört) mit 42 Wochenstunden.
Was soll ich sagen ausser: Ja. Das stimmt alles. Der Arzt, der deinen Blinddarm nachts um drei operiert, ist möglicherweise schon seit morgens um 7 im OP. Die Ärztin, die deine Grossmutter mit den Schmerzen in der Brust auf dem Notfall betreut, hat möglicherweise diese Woche schon weit über 50 Stunden gearbeitet. Die Ärztin, die deine Narkose macht, hat möglicherweise letzte Nacht nur 5 Stunden geschlafen, weil sie wegen Personalmangel noch länger bleiben musste.
Wie kann das sein?
Vor kurzem sah mein Arbeitsplan folgendermassen aus:
Freitag: 15-23Uhr (8h)
Samstag: 19Uhr – Sonntag 07:15Uhr (12.25h)
Sonntag: 19Uhr – Montag 07:15Uhr (12.25h)
Montag: 22Uhr – Dienstag 07:15Uhr (9.25h)
Mittwoch: 15-23Uhr (8h)
Donnerstag: 7-15:30Uhr (8.5h)
Freitag: 7-15:15Uhr (8.25h)
Das waren laut Dienstplan ca 58h in 7 Tagen respektive 66 in 8 Tagen. Der Dienstag zählte als freier Tag, obwohl ich über 7 Stunden gearbeitet habe, aber der Nachtdienst wird dem Montag zugeordnet – so ist das Arbeitsgesetz. Überhaupt sind die aufgeführten Zeiten alle völlig arbeitsgesetzkonform und erfüllen die gesetzlichen Vorgaben.
Ich selber habe noch nie Überstunden nicht aufgeschrieben oder ausgestempelt und dann weitergearbeitet, habe aber diverse Kolleginnen, die das so machen, gerade auf der Chirurgie und der Inneren. In manchen Diziplinen wird erwartet, dass Assistenzärzt*innen an ihren freien Tagen ins Spital kommen, um bei Operationen zuzusehen. Aufschreiben dürfen sie das nicht, aber es ist oft ihre einzige Chance, überhaupt in den OP zu kommen, denn sonst machen sie nur Stationsarbeit.
Bei Internist*innen zum Beispiel ist es insbesondere die Bürokratie, welche soviel Zeit braucht. Arztbriefe, Austrittspapiere, Kostengutsprachen, Diagnosenlisten anpassen, Tagesverläufe schreiben – alles muss detailliert dokumentiert sein, aus rechtlichen Gründen. Gespräche mit Hausärzt*innen, Physiotherapeut*innen, Ergotherapeut*innen, Sozialarbeiter*innen, Bezugspflegepersonen fallen an.
Und dann, so am Rande – wir sind Ärzt*innen in Weiterbildung. Wir haben ein Recht auf ebendiese Weiterbildung. Tatsächlich ist es so auch festgehalten: Wir arbeiten 50 Stunden pro Woche, davon sollten 42h Arbeit und 8h Weiterbildung sein. Seien das Vorträge, Teaching am Bett durch Oberärzt*innen, interne oder auswärtige Kurse und so weiter. In aller Regel ist das Wunschdenken. Aktuell bin ich froh (und etwas überrascht), wenn ich auf eine Stunde Fortbildung pro Woche komme.
Die im Tagesanzeiger genannten Gründe für diesen Missstand – Hierarchie, Angskultur – stimmen sicher. Die Hierarchiestufen sind besonder in grossen Spitälern sehr steil, und es besteht ein gewisses Abhängigkeitsverhältnis seitens uns Assistenten. Wenn wir nicht einfach ersetzbar sind – nicht für alle Stellen reihen sich die Bewerbungen – wird in Unterbesetzung gearbeitet. Pech dfür die anderen.
Auf Station ist Kontinuität wichtig. Eine Stationsärzt*in hat den Überblick über ihre Patient*innen, die Fäden laufen bei ihr zusammen, und würde sie kurzfristig durch jemand anderes vertreten, wird das Auswirkungen auf die Patientenbehandlung haben. Die Arbeit muss gründlich gemacht werden, Fehler können verheerende Auswirkungen haben, und Sorgfalt braucht Zeit.
Für mich aber am Wichtigsten: Der Kostenfaktor hält uns im eisernen Griff. Es gibt in manchen Kliniken Stationssekretär*innen, welche den Assistenzärzt*innen administrative Arbeit anehmen können. So wird die Arbeitslast reduziert, aber das kostet. Ebenso kostet es, mehr Assistenzärzt*innen einzustellen, um die Arbeitslast besser zu verteilen. Wir sind alle im Sparzwang. Die Spitallisten hängen wir ein Damoklesschwert über unseren Köpfen – wer nicht günstig genug ist, fliegt von der Liste. Die Schraube wird imemr enger angesetzt – es reicht nicht, gut dazustehen, man muss besser dastehen als die anderen, denn das Schlusslicht droht zu fliegen.
Bleibt die Frage, warum wir das mit uns machen lassen.
Pflichtbewusstsein? Angst? Die Hoffnung, dass es ja nach ein paar Jahren vorbei ist? Oder weil es uns einfach so beigebracht wurde und wir es nicht anders kennen? Weil die Gesetze nun mal so sind, und wir keine starke Lobby haben, die für uns kämpft?
Auch wenn ich mir die Frage seit fünf Jahren stelle – eine definitive Antwort habe ich nicht.
Wäre ich jedoch Patientin, würde ich mich fragen, ob ich mich wohl fühle, unter diesen Umständen behandelt zu werden – oder ob ich da mal Veränderungen fordern würde, statt dem heute vorherrschenden „ich will alles, aber es darf nichts kosten“.
Wenn ich in ein Flugzeug steige, kann ich erwarten, dass mein Pilot ausgeschlafen ist, denn die Ruhevorschriften für ihn sind recht streng. Vielleicht sollte ich dasselbe auch erwarten dürfen, wenn es um meine Gesundheit geht – und die dafür nötigen gesetzlichen Veränderungen entsprechend einfordern.