Solofliegen Teil 2

Mit einem Knabberwerkzeug namens „Lüer“ befreie ich die Platte von Gewebe. Wieder ein Instrument, das ich noch nie in den Händen gehalten habe, für welches ich kein Gefühl habe. Aber jetzt sehe ich die Schrauben. Ich bekomme den Schraubenzieher. Ich habe eine Frage. Darf ich die stellen? Ist es eine dumme Frage? Ich muss es aber wissen! Was, wenn… „Kommt es draufan, in welcher Reihenfolge ich die Schrauben entferne?“

„Nein.“

Okay. Gut. Ich nehme die, die ich am besten sehen kann, und entferne die Schraube. Das ist nicht so einfach. Ich halte den Schraubenzieher nicht gerade genug, und trotz meiner Bemühungen bewegt sich das Ding nach den ersten paar Umdrehungen nicht mehr. Der Orthopäde merkts. Er nimmt den Schraubenzieher und ein paar Umdrehungen später ragt das Ding schön weit raus. Ich erhalte das Instrument zurück und darf die letzten Umdrehungen machen. Die OP-Schwester fasst die Schraube und legt sie auf den Tisch. Eine von vier.

Zwei Schrauben später stehen wir vor einem Rätsel. Im Röntgenbild sind klar 4 Schrauben zu sehen, doch wir haben erst 3. Die Platte hat vorgefertigte Löcher, und die Löcher sind jetzt alle leer. Wo ist die vierte Schraube?

Wir starren auf das Rönntgenbild… Und dann dämmert es uns beiden gleichzeitig.

„Wo ist die Schraube?“, fragt der Orthopäde.

„Nicht in der Platte. Sie sieht zwar aus, als wäre sie darin, aber sie geht von vorne durch den Knochen.“, antworte ich. Ich bin stolz. Ich bin selber draugfgekommen. Die Spannung in mir löst sich ein bisschen.

Der Orthopäde nickt. „Wo suchen Sie die Schraube?“

„Auf der Höhe des drittuntersten Lochs, vorne.“

Er nickt erneut. Ich erhalte das Messer und schneide weiter. Die Schraube ist genau da, wo ich sie vermutet habe, und kurz darauf ist sie auch raus. Jetzt erhalte ich einen Haken, ein ekliges, spitziges, gekrümmtes Ding, und einen Hammer. Die OP-Schwester hält einen Meissel durch ein Lock am Ende des Hakens, und ich schlage mit feinen, vorsichtigen Schlägen darauf ein.Die Platte kommt frei. Das Metall ist raus.

Ich erhalte Nadelhalter mit Faden und Pinzette. Mit einem dicken, rauhen Faden nähe ich zuerst in der Tiefe zu. Der Orthopäde zeigt mit mir einer Pinzette an, wo ich fassen muss. Er korrigiert mich nicht – er scheint zufrieden. Er schneidet meine Fäden kurz ab. Ich gebe den Nadelhalter zurück und erhalte einen neuen mit einem viel dünneren, feineren, glitschigeren Faden. Hautnaht.

„Können Sie Donati?“, fragt der Orthopäde.

Das haben Sie mich vor einer Stunde schon gefragt, bei der letzten Operation. Sie haben meine ersten drei Stiche abgewartet und haben dann den Saal verlassen. „Ja.“, sage ich aus Überzeugung. Er steht auf und geht. Bevor er den Raum verlässt, dreht er sich um. „Diktieren Sie den Operationsbericht?“

„Ich versuchs.“, sage ich. Und könnte mich gleich darauf ohrfeigen. Das sagt man nicht! Versuchen? Machen! „Ich meine, jawohl, ich mache das!“ Er geht.

Ich nähe zu. Ich bin noch langsam, aber die Naht ist regelmässig und schön. Anästhesist und OP-Schwester sind freundlich und geduldig, keiner stresst mich.

Schweissgebadet und vollgepumpt mit Adrenalin gehe ich mich schliesslich umziehen. Es ist halb 3 Nachmittags. Zeit für das Mittagessen.

3 Kommentare zu „Solofliegen Teil 2“

  1. Sonntagabend 6.März 20:53
    Herzliche Gratulation zum guten Gelingen !
    Eine sehr eindrückliche Schilderung – es ist ja eine knifflige Arbeit an einem lebendigen Wesen, und nicht wie in einer Autowerkstatt an einer technischen Maschine – wobei auch letzteres knifflig sein kann.
    Und solche Arbeiten können in der Ausbildung wohl kaum am Simulator geübt werden, sondern eben erst in der Praxis am lebenden Objekt.
    Ich wünsche Ihnen weiterhin viel Erfolg und Befriedigung bei der Heilungs-Arbeit am Mitmenschen.

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